Liquid Biopsy als Werkzeug zur Diagnostik und Therapiesteuerung bei soliden Tumoren – NeoRect-Studie

Die Unterstützung personalisierter (patientenbezogen „maßgeschneiderter“) Therapieentscheidungen auf der Grundlage des patientenindividuellen molekularen Profils von Tumoren ist ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung und individualisierten Versorgung des ICCA am Universitätsklinikum Augsburg.

Mit der sogenannten „Liquid Biopsy“ kann man im Blut zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) aus einer einfachen Blutprobe wie für die Routinelabordiagnostik analysieren. So können Veränderungen des Tumorgenoms (der „Erbinformation“ in den Tumorzellen) wie z. B. Mutationen oder sog. epigenetische Aberrationen charakterisiert werden, ohne dass man am inidividuellen Patienten eine Tumorprobe aus dem Gewebe mit entsprechenden Eingriffsrisiken und -strapazen gewinnen muss. Dabei hat diese Liquid Biopsy großes Potenzial als Biomarker sowohl für die Prognoseabschätzung als auch für das frühe Erkennen eines Rückfalls (Rezidivs), die Verlaufskontrolle unter Therapie und die Erkennung von Resistenzen gegen bestimmte Medikamente.

Die klinisch-praktische Anwendbarkeit dieses Verfahrens wurde bereits in verschiedenen Studien bewiesen. Hinsichtlich der Empfindlichkeit und Skalierbarkeit zum Nachweis eines breiten Mutationsspektrums unabhängig von der Lokalisation einer oder mehrerer Tumormanifestationen wird die Liquid Biopsy kontinuierlich weiterentwickelt. Ein Beispiel stellt die von uns konzipierte NeoRect- Studie dar. In der Augsburger NeoRect-Studie werden Patienten mit Rektumkarzinom (Stadium II und III) während der vor der Operation obligat stattfindenden (neoadjuvanten) Radiochemotherapie bis zum Zeitpunkt der Operation anhand von Liquid Biopsy untersucht. Ziel dieser Untersuchung ist die Identifizierung von Patienten, die bereits nach neoadjuvanter Radiochemotherapie ein vollständiges Verschwinden noch lebenden Tumorgewebes (komplette pathologische Remission, pCR) erreichen und dementsprechend statt der operativen Entfernung des Enddarms einer engmaschigen Nachbeobachtungs- („active surveillance“-) Strategie zugeführt werden können. Bisher existieren jedoch keine zuverlässigen klinischen Biomarker für das Erreichen einer pCR. In den ersten vorläufigen Analysen der NeoRect-Studie (Claus R et al. DGHO 2019) konnten wir eine Korrelation zwischen dem Vorliegen von ctDNA und dem Erreichen einer pCR nach neoadjuvanter Radiochemotherapie zeigen.

Wir können aktuell schlussfolgern, dass ctDNA im Kontext der NeoRect-Studie das Potenzial als prädiktiver Marker zur Identifizierung von Patienten, die eine pCR erreichen und dementsprechend einer Behandlungsstrategie ohne Enddarmentfernung zugeführt werden könnten, besitzt. Hierauf basierend entwickeln wir in Augsburg derzeit ein Konzept der Integration von Liquid Biopsy in die klinische Routineversorgung weiterer Tumorarten und Behandlungsformen, um ​ das diagnostische, prognostische und prädiktive Potenzial von ctDNA in individuelle Therapieempfehlungen und -entscheidungen einzubringen.